7. Mai 1879, der große Brand. Durch starken Wind begünstigt, legt das Feuer in kurzer Zeit 48 Wohnhäuser, 51 Scheunen und Ställe (teils strohgedeckt) in Schutt und Asche. Ebenso werden die Kirche, Lehrerwohnung und Mühle ein Raub der Flammen. Die Schule und 49 Wohnhäuser mit Scheunen und Stallungen bleiben dank der Altebach, die offen durch das Dorf fließt, vom Feuer verschont. Andere Quellen nennen 114 verbrannte Gebäude und 55 erhalten gebliebene Wohnhäuser. Ca. 200 - 300 Einwohner sind obdachlos geworden. Obwohl der Brand im Scheunenviertel an der Dillenburger Landstraße zwischen 9 und 10 Uhr ausgebrochen ist, läuten erst um 11 Uhr in Dillenburg die Sturmglocken:
Dillenburg, 7. Mai:
„Heute morgen elf Uhr ertönte hier die Sturmglocke. Es erscholl der Ruf: Groß Feuer in Wissenbach! Daß das Feuer groß sein müsse, wurde (obgleich besagter Ort 1 1/2 Stunden von hier entfernt ist) durch massenhaft in der Luft herumtreibende verkohlte Strohreste und einen intensiven brandigen Geruch bemerkbar. Eine um 11 Uhr einlaufende Telephondepesche gab an: 20 Häuser in Brand; nach späteren, noch unverbürgten Nachrichten, sollen von dem ganzen Orte nur noch wenige Häuser stehen. Das Feuer war, nach Mitteilung eines Augenzeugen, um 10 Uhr zum Ausbruch gekommen, hatte sich aber bei dem starken Nordostwind mit eminenter Raschheit verbreitet, so dass gleich mehrer Gebäude in hellen Flammen standen. Ob Menschenleben bei dem Unglücke zu beklagen sind, haben wir bis jetzt nicht erfahren können. 4 Uhr Nachmittags. Einer weiteren Verbreitung des Feuers scheint vorgebeugt. Nur noch wenige Gebäude sind unversehrt. Kapelle und Schule verbrannt. Die Noth der armen Abgebrannten ist groß. Soeben wird hier durch die Schelle zur schleunigsten Unterstützung derselben durch Lebensmittel aufgefordert.“
Zeithung für das Dillthal, 08.05.1879
Das Glöckchen zu Wissenbach
Es wimmert das Glöckchen in ängstlichem Ton,
Es klingt wie in tödlichem Kampf;
Die Glut, sie erfasset den Turm unten schon,
Das Glöckchen umhüllt schwarzer Dampf;
Stets lauter und dringender wird sein Schrei:
Feuer: O Hilfe, o Hilfe herbei!
Es woget da unten ein schreckliches Meer
Von Flammen. Die prasselnde Glut
Entsendet die sprühenden Garben umher,
Entfesselt zu maßloser Wut, -
Vernichtet zu Losung. Nicht Stärke und Muth
Beschützt vor dem Schrecklichen Habe und Guth.
Es wütet die Flamme, gepeitscht von dem Sturm,
Wie fällt hier die Rettung so schwer!
Es krachen die Balken, es wanket der Turm.
Das Glöckchen - es rufet nicht mehr,
Denn dort am vom Feuer erhitzten Grund,
Dort lieget nun schweigend sein eherner Mund.
Es züngelt die Flamme, versenget und raubt,
Was mühsam erworben, erspart.
Verderben, es nickt mit dem scheußlichen Haupt,
Wenn Sturmwind und Glut sich gepaart.
Und Elend und Not in zerriss`nem Gewand
Erfassen den Armen mit eiskalter Hand.
„Herr, Allmächtiger im Himmel mein Kind, mein Kind!“
Ein erschütternder Mutterschrei –
O, der übertönt die Flamme, den Wind,
Das Herz möchte brechen entzwei! –
Doch welch eine Freude in Schmerz und in Noth:
Das Kind ist gefunden, gelobet sei Gott!
Die Nacht senkt sich nieder, der Sterne Geschein
Leucht`t an der Stätte voll glühendem Schutt,
Beleuchtet die Stätte, wo unten allein
Das Glöckchen im Feuerbett ruht.
Das Aug’, das am Tage gewaltsam gestillt,
Bei Nacht im nun Thräne um Thräne entquillt.
Das Heim ist vernichtet, die Stätte ist leer,
Nur rauchende Trümmer noch sind’s.
Ein Engel, ein liebender, schreitet einher,
Spricht leise und tröstend: „ Ich bin’s,
Als das Glöckchen mich rief, da war ich schon nah’.
Drum seid nun getrost, seht: Hilfe ist da!“
Das Gedicht wurde wenige Tage nach dem Brand im Mai 1879 von dem
damaligen Wissenbacher Bürgermeister J. Müller verfasst und in der
Zeitung veröffentlicht.